Texte

Stephan Balkenhol
Katalog Stadtpreis Baden-Baden

Thaddäus Hüppi hat den Kunstpreis der Stadt Baden-Baden gewonnen! Das freut mich, und ich gönne es ihm, denn er hat es verdient. Thaddäus Hüppi macht es sich nämlich gar nicht leicht. Thaddäus Hüppi, aus einem Künstler-Elternhaus stammend - sozusagen wie Obelix als Baby in den Zaubertrank - ist er in die Kunst gefallen: er kennt die Kunstwelt und durchschaut sie. Er beobachtet den Strom der Zeit und denkt sich seinen Teil. Deshalb weiß er ziemlich genau, was er nicht will. Was er selber will, versucht er mit dem Mut eines widerborstigen Jugendlichen, der nicht weiß was Furcht ist, herauszufinden. Er hat keine Angst, sich die Finger zu verbrennen. Er ist nicht nur bereit, in keine Schublade zu passen, sondern auch bereit dazu, in eine falsche eingeordnet zu werden. Er ist ein Besserwisser - und trotzdem kein Moralist. Und das ist das Kunststück: sich zu verweigern, zu sagen "leck mich mal" und trotzdem unschuldig spielerisch vorzugehen. Andere vor's Schienenbein zu treten und gleichzeitig verletzlich zu sein. Aber nun zu den Arbeiten! Oder besser zu den Skulpturen, denn Thaddäus Hüppi versteht sich in erster Linie als Bildhauer. Das Material, die Größenverhältnisse, der Raum, die Präsenz sind ihm wichtig - genauso wichtig wie der Inhalt, die Themen, die er behandelt. Sie muten uns wie Märchenfiguren an - Folklore wird erwähnt - finde ich selber aber nicht treffend. Ich glaube, es geht um eine neue Einfachheit. Zusammen mit Gefundenem, Natur-Ready-mades in Form von Ästen, Hölzern, baut er einen neuen Kosmos. Dabei findet man außer Öko-Materialien auch Plastikteile und überhaupt Anorganisches. Außerdem Objekte des täglichen Lebens, wie z.B. Liegestühle. Entscheidend ist die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Komponenten: modellierte Form (Gesicht, Kopf, Körper), Naturformen (Blätter, Äste), Objekte (Möbel, Gegenstände) und Zeichnung oder Malerei. Unter Thaddäus Hüppis Zauberstab wird eine neue Welt daraus. Eine Welt, die die heute üblichen Kriterien der Kunstbetrachtung sprengt. Vielleicht ist es genau das, was er will: Freiheit. Freiheit von der Möglichkeit, erfaßt werden zu können. Freiheit für eine eigene Welt, die zwar schon ihre Bezüge hat, zur richtigen Welt und auch zur Kunstwelt, aber bitte wie durch eine Kinder-Zerrbrille. Wer ist hier bitte verrückt? Bin ich es oder seid ihr es? Die Frage ist offen, und ein Künstler hat das Recht, diese Frage zu stellen und die Antwort bleibt bitte schön - offen. Vielleicht muß man, um Thaddäus' Arbeiten zu verstehen, sich in die Zeit zurückversetzen, als man die Welt noch mit Kinderaugen betrachtete. Als man noch nicht ein Schema verinnerlicht hatte, nachdem man die Welt zu ordnen und zu beurteilen hatte. Thaddäus' Arbeit als Versuch einer Infrage-Stellung und Neu-Ordnung der Dinge? Beim Betrachten seiner Gnome, die in keiner Weise niedlich sind, sondern eher hinter ihrer scheinbaren Harmlosigkeit etwas Unheimliches (Voodoo?) verbergen, fällt mir die kleine Prosaschrift Heinrich von Kleists "Über das Marionettentheater" ein, in der es um das Thema einer natürlichen Grazie und Leichtigkeit geht, die man "mit Gewalt" einfach nicht erreichen kann, die aber Marionetten manchmal ganz selbstverständlich anhaftet. "Nichts was sich nicht auch schon hier fände: Ebenmaß, Beweglichkeit, Leichtigkeit - nur alles in einem höheren Grade;..." Dem Menschen, seitdem er "...von dem Baum der Erkenntnis gegessen..." hat, ist jedoch "...das Paradies verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist." (1)
Ich sehe Thaddäus Hüppi auf einer solchen Reise und wünsche ihm dabei viele spannende Abenteuer.

(1) Heinrich von Kleist, Sämtliche Werke: Über das Marionettentheater, S.884 f. München 1951

Ulrich Clewing
FAZ, Berlin, April 2001

"Die Kunst des Thaddäus Hüppi" Es sind merkwürdige Geschöpfe, die da am Boden stehen, aus den Wänden wachsen und von der Decke hängen. Kahlköpfige, hintersinnig lächelnde Gestalten, in Glühbirnenfassungen geschraubt, denen Birkenblüten aus Plastik wie Funkantennen aus dem Schädel sprießen; Winzige, nur wenige Zentimeter große wurmartige Wesen, die fein bemalt und mit Blättern geschmückt, zu Dutzenden den Ausstellungsraum bevölkern; eine Strohpuppe auf einem Liegestuhl, welcher seinerseits in einem mit Wasser gefüllten Kinderplanschbecken steht. Normalerweise gehört Humor nicht unbedingt zu den hervorstechenden Merkmalen zeitgenössischer Kunst. Thaddäus Hüppi aber, der 1963 in Hamburg geborene Urheber dieser seltsamen Fauna, hat ein untrügliches Gespür für das heiter Abseitige, manchmal scheint es, als hörte man von irgendwoher ein leises Lachen - ähnlich dem homerischen Gelächter des archaischen Griechenland, als es noch Götter gab, die sich vom Olymp herab hemmungslos über die Anstrengungen der unbedeutenden Menschlein unter auf der Erde amüsierten. Und von dort aus ist nur ein kleiner Schritt zur Groteske, dem zweiten seit der Antike gebräuchlichen Genre, das dem Betrachter das fremde Andere im Eigenen vor Augen führen soll. Beides - das Belustigte und Belustigende - finden sich in Thaddäus Hüppis Werken wieder. Es kommt nicht häufig vor, daß das dialektische Prinzip eine solche Komik offenbart. 

 

Dr. Jochen Ludwig
Katalog "4 Hüppi", Museum für Nue Kunst, Freiburg

 

Als Thaddäus vom Schreiner zum Bildhauer wurde, gab er den Bäumen die Verantwortung zurück. Bis dahin hatte er als Bau- und Möbeltischler Stämme zu Brettern zersägt, begradigt, verzapft und verleimt, um aus ihnen funktionstüchtige Objekte, Möbel, Gehäuse zu machen. Jetzt definierte er seinen Zuständigkeitsbereich neu und dachte ihn zunehmend als prinzipiell offenes, virtuelles Volumen, in dem instabile Architekturkommentare ebenso möglich waren wie der subversive Kunstdiskurs in Fanzine - Heften. Im Umgang mit seinem vertrauten Werkstoff schlug er nun die entgegen gesetzte Richtung ein. Während er früher das Zentrum des Baumes, den massiven Kern bearbeitet und zur benutzerfreundlichen Oberfläche machte, interessiert er sich heute für dessen Peripherie, läßt sich vom Wachstum der Äste mit ihren Krümmungen, Knorpeln und Seitentrieben leiten, die er als tektonisches und gestisches Gerüst für seine Bildwerke nutzt. Kaschiert, umwickelt und bemalt treten die Zweige nun in Interaktion mit unterschiedlichsten Materialien wie Ton, Gips, Glas oder Metall. Dieser bunte Kosmos aus skurrilen Erscheinungen verbindet größte handwerkliche Sorgfalt mit sprühender Phantasie und entkräftet jeden vorschnellen Eindruck von folkloristischer Bastelei.

Thaddäus umkreist und begleitet seine plastische Arbeit mit Zeichnungen und mit Übungen, die er Rumfummeln nennt und aus Papierresten filigrane Miniaturen entstehen. Mit besessener Beiläufigkeit verhilft er auch unerheblichsten Alltagsdingen, wie etwa einem von der Decke baumelnden Lampenkabel, zu vorstellungsreicher Verwandlung. So wirkt sein Atelier ein wenig wie die zeitgenössische Version spätmanieristischer Wunderkammern in der Alraunen zu Comic-Figuren mutiert und Voodoo- Beschwörungen auf Festplatten abgespeichert sind. Und dem empfindsamen Besucher könnte es durchaus passieren, daß er in dem so heiteren Treiben plötzlich einen der kleinen Kobolde verzweifelt um Hilfe rufen hört.

In einer Mischung aus maskenhafter Erstarrung und portraitähnlicher Aufgewecktheit grüßen diese fremdartigen Wesen mit ihren langen Nasen und verschmitzten Äuglein, sich selbst immer neu reproduzierend, aus ihrem Zauberreich und treten durch eine unerwartete formale Wendung unversehens über in den plastischen Bezirk. Beim Tasten und Tanzen im Raum verwandeln sie sich dann doch wieder mühelos zurück in pure Skulptur.